Regeln über den Gebrauch der Sprache im Gerichtsverfahren
Das Recht, in Beziehungen zur öffentlichen Verwaltung und den Justizbehörden seine Muttersprache zu benützen, gehört zu den Grundrechten der Bürger der Provinz Bozen und ist verfassungsrechtlich geschützt.
Laut Art. 99 des Autonomiestatuts ist die deutsche Sprache in unserer Region der italienischen gleichgestellt.
Art. 100 dagegen garantiert den Gebrauch der Sprache in den Beziehungen mit den Organen und Ämtern der öffentlichen Verwaltung und deren Konzessionären, aber auch mit Justiz und Steuerbehörden. Die Organe der Justiz sind verpflichtet, sich in Prozessakten und Mitteilungen an die Muttersprache des jeweiligen Bürgers (zumindest die vermutete) zu halten. Die Anwendungsbestimmungen dieser Prinzipien wurden mit dem Dekreten des Präsidenten der Republik vom 15.7.1988, Nr. 574 angenommen und später mit dem Legislativdekret 283/2001 modifiziert. Die letzte Änderung haben die Vorschriften durch das Legislativdekret 124/2005 erfahren.
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Kurzer Geschichtsexkurs
Es ist bekannt, dass ein grosser Teil der Bevölkerung in der Provinz Bozen deutscher Muttersprache ist und eine national anerkannte sprachliche Minderheit bildet. Dies hat zur Bildung der Region mit Autonomiestatut geführt, und, innerhalb dieser Region, zur Formung der beiden Provinzen Bozen und Trient. Die wichtigste der speziellen Vorschriften für den Schutz der Minderheiten ist der Art. 100 des Autonomiestatuts (Dekret des Präsidenten der Republik vom 31.8.1972, Nr. 670, Einheitstext der Gesetze über das Sonderstatut für Südtirol), laut dem „die deutschsprachigen Bürger der Provinz Bozen das Recht haben, in den Beziehungen zu den Justizbehörden und Organen und Ämtern der öffentlichen Verwaltung, die sich in der Provinz befinden beziehungsweise regionale Kompetenz besitzen, sowie mit den Konzessionären von Dienstleistungen, an denen öffentliches Interesse besteht, ihre Sprache zu benützen“
Diese Vorschrift, die Verfassungscharakter hat, wurde mit dem Dekreten des Präsidenten der Republik eingeführt, das 4 Jahre später in Kraft trat, um den Justizbehörden Zeit zu geben, sich an die neuen Vorschriften anzupassen. Später wurden mit dem Legislativdekret 283/2001 Änderungen eingeführt, deren hauptsächliche Auswirkungen darin bestanden, die Möglichkeiten der Parteien, die Sprache in Zivilverfahren zu verändern, zu beschränken und die Verletzung der Vorschriften hinsichtlich der Sprache in Zivilverfahren mit absoluter Nichtigkeit zu ahnden (im Strafverfahren waren die Nichtigkeiten bereits absolut). Mit dem Gesetzesdekret 124/2005 ging man in die entgegengesetzte Richtung, indem die Benützung einer einzigen Sprache gefördert wurde und den Parteien die generelle Möglichkeit, auf Übersetzungen zu verzichten, einräumte. Dies besonders im Hinblick auf die hohe Zahl zweisprachiger Prozesse, die nach den Änderungen von 2001 zur Lähmung der Prozesse, was auch an der bis heute geringen Zahl an Übersetzern liegt (circa 1/10 der vorgesehenen).
Zivilprozess
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Zustellung von Schriftstücken in einer anderen Sprache als der Muttersprache
Jeder, der einen Schriftsatz oder ein Dokument zugestellt bekommt, kann innerhalb von 15 Tagen ab Zustellung die Übersetzung in die jeweils andere Sprache (italienisch oder deutsch) beantragen. Der Antrag muss mittels Gerichtsvollzieher dem Absender des Schriftstücks zugestellt werden (es wird praktisch ein einfaches Dokument in zwei Kopien ausgefertigt - es hängt davon ab, an wieviele Parteien die Zustellung geht - mit dem mitgeteilt wird, dass das Schriftstück empfangen wurde und die Übersetzung beantragt wird). Die Übersetzung muss in den darauffolgenden Tagen zugestellt werden. Die Kosten gehen dabei allerdings zu Lasten jener Partei, welche die Übersetzung und Zustellung zu besorgen hat.
Der Antrag auf Übersetzung unterbricht die Fristen; sie beginnen dann wieder ab Zustellung der Übersetzung.Im Falle aussergewöhnlicher Dringlickeit kann das Gericht die vorläufige Vollstreckbarkeit auf Antrag einer Partei auch während der Fristenunterbrechung genehmigen (zum Beispiel könnte der Richter eine Zwangsvollstreckung genehmigen, auch wenn die Übersetzung noch nicht zugestellt ist; trotzdem kann die Frist für eventuellen Widerspruch erst ab Zustellung der Übersetzung ablaufen)
Zustellung von Schriftstücken ausserhalb der Provinz Bozen.
Schriftstücken in deutscher Sprache, die ausserhalb der Provinz Bozen zugestellt werden, muss eine italienische Übersetzung beigelegt werden.
Klageschrift
Wer ein Verfahren beginnt, kann die Sprache selbst wählen. Wenn die beklagte Partei im Verfahren die gleiche Sprache wählt, ist der Prozess einsprachig, andernfalls wird er zweisprachig. Die öffentliche Verwaltung muss sich in jedem Fall der Sprache der Gegenpartei anpassen (wenn es allerdings mehrere Parteien gibt, die verschiedene Sprachen benützen, ist es noch nicht klar, ob die öffentliche Verwaltung gleichzeitig beide Sprachen benützen muss).
Einsprachiger Prozess
Theorethisch müsste im einsprachigen Prozess alles in einer Sprache abgewickelt werden; trotzdem gibt es Ausnahmen. Die Zeugen müssen nämlich in der Sprache angehört werden, die sie selbst vorziehen, und auch die Protokollierung ihrer Aussagen erfolgt in dieser Sprache. Die Partei (persönlich) oder ihr besonders Bevollmächtigter (auch der Rechtsanwalt, insofern das Mandat ihm diese Befugnis ausdrücklich zugesteht) können die Übersetzung beantragen, aber nur bis zum Ende der Verhandlung. Das bedeutet, dass Anträge zur Übersetzung, die nach der Verhandlung eingehen, zu Lasten des Antragstellers gehen. Es muss ausserdem bedacht werden, dass die Übersetzung nicht simultan erfolgt und Wochen vergehen, bevor man sie vom Gericht erhält; das zieht das Risiko mit sich, dass man nicht weiss, was ein Zeuge gesagt hat, bevor man die Übersetzung erhält. Auch wenn ein Gutachten angeordnet wird, kann der Gutachter die Sprache benützen, die er selbst aussucht; die Übersetzung kann von der Partei (persönlich) oder ihrem besonders Bevollmächtigten (siehe oben) beantragt werden, aber innerhalb von 30 Tagen ab Mitteilung ber die Hinterlegung des Gutachtens.
Zweisprachiger Prozess
Wenn zwei Parteien in einem Prozess verschiedene Sprachen benützen (italienisch oder deutsch), ist der Prozess zweisprachig. Jede Partei benützt die eigene Sprache, ohne zur Übersetzung verpflichtet zu sein. In jeder Verhandlung wird ein Protokoll geführt: jede Parteien protokolliert also in der eigenen Sprache, die Gegenpartei bzw. deren Bevollmächtigter kann die zweisprachige Protokollierung beantragen: in diesem Fall muss die Übersetzung unmittelbar erfolgen. Wenn der Antrag dagegen nicht in der Verhandlung gestellt wird, muss jeweils der Interessierte für die Spesen aufkommen. Alle Verfügungen des Gerichts müssen zweisprachig erfolgen, ausser es liegt ein Verzicht der interessierten Partei vor.
Schriftsätze und Dokumente werden von Amts wegen nur übersetzt, wenn folgende Bedingungen vorliegen:
1) dass der Antragsteller nicht in der Provinz wohnhaft ist bzw. ihren Sitz hat;
2) dass der Antrag (an den Richter) innerhalb von 30 Tagen ab Mitteilung oder Hinterlegung erfolgt
Der Richter ist verpflichtet, alle Schriftsätze übersetzen zu lassen; er kann dagegen jene Schriftstücke ausschliesen, die er für offensichtlich irrelevant hält (trotzdem ist der Richter frei, diese, zunächst von der Übersetzung ausgenommene Schriftstücke für die spätere Entscheidung heranzuziehen). Der zweisprachige Prozess wird zum einsprachigen Prozess, wenn alle Parteien erklären, die selbe Sprache zu wählen. Die Anfrage (es handelt sich hierbei um eine der wichtigsten Neuerungen des D.P.R. 124/05) kann in jeder Instanz und jedem Moment des Verfahrens gemacht werden (allerdings wird das Verfahren am Kassationsgerichtshof immer in italienischer Sprache abgehalten) und ist unwiderruflich.
Sanktionen
Die Verletzung der Regeln hinsichtlich der Sprache im Zivilprozess ist Grund kann die Nichtigkeit aller Schriftstücke, die in der jeweils anderen Sprache verfasst wurden, nach sich ziehen. Es handelt sich um eine schwerwiegende Sanktion, die dem Zivilprozess völlig unbekannt ist. Die Vielzahl aller im Zivilverfahren enstandenen Nichtigkeiten ist im nachhinein reparabel. Es ist hierbei sogar vorgesehen, dass die Nichtigkeit von demjenigen, der dabei mitgewirkt hat, sie herbeizuführen, eingewendet werden kann. Es ist also möglich, dass eine Partei dem Gebrauch einer Sprache zustimmt, obwohl das in jenem Fall oder in jener Form nicht erlaubt ist, und dann gegen das Urteil Berufung einlegt, indem er die Nichtigkeit der Akte einwendet. Man muss also besonderes Augenmerk auf die genaue Befolgung der Vorschriften legen.
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Verwaltungsverfahren -, Buchhalterische und Steuerverfahren
In den Verwaltungsverfahren -, Buchhalterischen und Steuerverfahren, die vor Organen, die ihren Sitz in der Provinz Bozen oder auch in der Provinz Trient haben, (letztere wenn sie für die Provinz Bozen zuständig sind), werden die Vorschriften des Zivilprozesses, soweit kompatibel, angewandt.
Strafverfahren
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Pflicht, nach der Muttersprache zu fragen
Das Grundprinzip, nach dem die Sprache des Strafverfahrens festgelegt wird, ist die Muttersprache des Verdächtigen - Beschuldigten Im Fall der Anhaltung, Verhaftung, Vollstreckung der Untersuchungshaft und in jedem Fall, in dem gegen eine anwesende Person vorgegangen wird, besteht die Pflicht, diese nach der Muttersprache zu befragen und diese Sprache für alle nachfolgenden Vorgänge zu benützen. Die Muttersprache in diesem Sinne hat nichts mit der Sprachgruppenzugehörigkeitserklärung, die jede in der Provinz Bozen ansässige Person bei der Volkszählung abzugeben verpflichtet ist, zu tun.
Der Person steht es natürlich frei, selbst zu entscheiden, welche die Muttersprache ist, die Antwort des Betroffenen ist auch nicht anfechtbar; trotzdem spricht der Gesetzgeber lieber von Muttersprache als von gewählter Sprache (wie zum Beispiel bezüglich der Zeugen im Zivilprozess), dies wegen der Befürchtung, dass die Polizeikräfte andernfalls die betroffenen Personen dazu bewegen könnten, die Sprache zu wählen, die für sie selbst leichter ist (normalerweise italienisch).
Pflicht auf Übersetzung der Akte
Nachdem die im vorhergehenden Absatz angeführte Erklärung abgegeben wurde, besteht die Pflicht, alle Akte, welche bereits in einer anderen Sprache verfasst worden sind, zu übersetzen, sofern diese der den Erhebungen unterworfenen Person zur Verfügung gestellt werden müssen (also bei Anwendung einer vorbeugenden Maßnahme oder spätestens bei der Benachrichtigung über den Abschluss der Vorerhebungen).
Änderung der Verfahrenssprache mit Recht auf Übersetzung der bis dahin verfassten Akte
Wird eine Person über ein Verfahren zu ihren Lasten und über die Sprache, in der die Ermittlungen geführt wurden, in Kenntnis gesetzt, so hat diese das Recht, innerhalb der Fallfrist von 15 Tagen zu verlangen, dass das Verfahren in der anderen Sprache weitergeführt werde. In diesem Fall werden alle darauf folgenden Akte in der angegebenen Sprache verfasst und die Staatsanwaltschaft muss die Übersetzung der bis dahin verfassten Akte sowie auf ausdrücklichen Antrag auch der Dokumente und Sachverständigengutachten verfügen.
Änderung der Verfahrenssprache ohne Recht auf Übersetzung der bis dahin verfassten Akte
Auf jeden Fall kann die dem Prozess unterworfene Person zu jedem Zeitpunkt die Fortsetzung des Verfahrens in der anderen Sprache beantragen. Im Unterschied zum vorgenannten Fall besteht hier (also nach Ablauf der Fallfrist von 15 Tagen ab Zustellung des ersten Aktes) kein Anrecht auf Übersetzung der bis dahin verfassten Akte.
Verbot, die Sprache in den ersten 24 Stunden ab Erklärung der Muttersprache zu ändern
Sollte die Person aufgefordert worden sein, die Muttersprache zu erklären, so kann die Verfahrenssprache nur unter der Vorrausetzung geändert werden, dass mindestens 24 Stunden seit der Festnahme, der Anhaltung auf frischer Tat, der Anwendung einer vorbeugenden Maßnahme und auf jeden Fall seit der Nachfrage nach der Muttersprache vergangen sind. Dadurch soll verhindert werden, dass die Person nach der Erklärung der Muttersprache dazu angehalten wird, die andere Sprache unfreiwillig oder um den untersuchenden Behörden entgegenzukommen zu wählen.
Dennoch hat der Oberste Kassationsgerichtshof festgestellt, dass, sofern der Wille der den Untersuchungen unterworfenen Person respektiert wurde, keinerlei Nichtigkeit vorliegt.
Einmalige Änderung in jeder Instanz des Verfahrens
Die Änderung der Sprache ist nur einmal im Laufe des Verfahrens erster Instanz erlaubt und muss vor der Eröffnung des Hauptverfahrens oder vor der Formulierung des Antrages auf ein abgekürztes Verfahren beantragt werden. Auch im Berufungsverfahren kann die Änderung der Sprache nur ein einziges Mal beantragt werden und zwar:
a) wenn die Staatsanwaltschaft Berufungskläger ist, vor Eröffnung der Hauptverhandlung;
b) wenn der Angeklagte Berufungskläger ist, ausschließlich mit Berufungsschrift. In diesem Fall ist die Berufungsschrift in der gewählten neuen Sprache zu verfassen (bezüglich der Folgen einer Verletzung dieser Vorschrift siehe den Absatz über die Befugnisse der Vertrauensverteidiger).
Das Verfahren vor dem Kassationsgerichtshof wird immer und ausschließlich in italienischer Sprache abgehalten, weshalb auch der entsprechende Antrag auf Italienisch verfasst werden muss.
Mutmaßliche Muttersprache
Sollte die den Erhebungen unterworfene Person oder der Angeklagte nicht anwesend sein oder die Antwort verweigern, so wird das Verfahren in seiner mutmaßlichen Muttersprache geführt. Die mutmaßliche Muttersprache wird aufgrund der offenkundigen Sprachgruppenzugehörigkeitserklärung der Person bzw. aufgrund anderer bereits ermittelter Elemente festgesetzt (beispielsweise wenn die Person, die abgehört wird, ausschließlich oder vorwiegend eine bestimmte Sprache verwendet).
Es muss festgehalten werden, dass eine auch offensichtlich fälschliche Feststellung der mutmaßlichen Muttersprache keinerlei Nichtigkeit mit sich bringt.
Nichtigkeiten liegen nur dann vor, wenn eine Sprache erklärt wurde.
Befugnisse der Vertrauensverteidiger
Vertrauensverteidiger, deren Muttersprache nicht mit der Prozesssprache übereinstimmt, können ihre Muttersprache verwenden, um durch Wortmeldungen verfahrensrechtliche Vorfragen aufzuwerfen oder Verteidigungen vorzubringen. In der Praxis wird diese Befugnis für jegliche Einwürfe, die an den Richter gerichtet sind, anerkannt, wobei allerdings die Pflicht aufrecht bleibt, die Zeugen in der Prozesssprache zu vernehmen. Diese Befugnis begünstigt klarerweise die Wahl der Muttersprache des Angeklagten zur Prozesssprache, da der Vertrauensverteidiger dennoch die Möglichkeit besitzt, die Schlussrede seinen Sprachfertigkeiten entsprechend vorzubringen.
Das Gesetz begrenzt diese Befugnis ausschließlich auf mündliche Einwürfe, weshalb die Außensektion Bozen des Oberlandesgerichtes Trient mehrmals die Unzulässigkeit von Berufungsschriften, die in einer anderen Sprache als der in erster Instanz verwendeten Prozesssprache verfasst waren, erklärt hat. Dennoch hat der Kassationsgerichtshof wiederholt diese Entscheidungen aufgehoben und letztendlich hat sich das Oberlandesgericht der Ansicht des Kassationsgerichtshofes gefügt.
Kürzlich hat das Überprüfungsgericht (besser bekannt als Freiheitsgericht) wiederum die Unzulässigkeit eines Antrages auf Überprüfung, der in einer anderen als der verwendeten Prozesssprache verfasst war, erklärt. Aber auch dieser Beschluss ist vom Kassationsgerichtshof aufgehoben worden. In der Folge scheint die Ansicht des Höchsten Richterkollegiums stark gefestigt zu sein, wonach eventuelle Sanktionen für Akte, welche in einer anderen als der verwendeten Prozesssprache geschrieben wurden, im Interesse der den Erhebungen unterworfenen Person/des Angeklagten ausgeschlossen werden.
Pflichtverteidiger
Bezüglich des Pflichtverteidigers gilt festzuhalten, dass der Verfassungsgerichtshof bei der Überprüfung der Verfassungsmäßigkeit einer unterschiedlichen Behandlung von Vertrauens- und Pflichtverteidigern (siehe vorhergehender Absatz) erläuterte, dass nur das Vertrauensverhältnis Abweichungen von der vom Angeklagten gewählten Sprache erlaube. In der Folge kann diese Ausnahme nicht für den Pflichtverteidiger gelten, denn in diesem Fall fehlt eine direkte Beziehung zwischen dem Angeklagten und seinem Verteidiger (der von der Gerichtsbehörde bestimmt wird). Zudem wurde festgestellt, dass es wünschenswert sei, wenn der Angeklagte und sein Verteidiger dieselbe Muttersprache hätten.
Vorgenanntes Urteil ist in die Änderungen von 2001 aufgenommen worden.
Um diesen Grundsatz zu verwirklichen und unter Gewährleistung der Privatsphäre der Rechtsanwälte, hat der Ausschuss der Anwaltskammer zwei unterschiedliche Verzeichnisse für die Pflichtverteidiger erstellt: eines für die Verfahren in italienischer und eines für jene in deutscher Sprache. Bei der Eintragung in eines dieser Verzeichnisse wird von jedem Rechtsanwalt eine Eigenerklärung bezüglich seiner Fähigkeit, die Verteidigung in der entsprechenden Sprache angemessen ausüben zu können, verlangt. Jeder Pflichtverteidiger muss also das Verteidigungsmandat in der vom Angeklagten gewählten Prozesssprache ausüben können, andernfalls kann er dem Ausschuss der Anwaltskammer gemeldet werden, welcher wiederum ein Disziplinarverfahren gegen ihn einleiten kann.
Das Recht, Erklärungen unabhängig von der Prozesssprache in der eigenen Sprache abgeben zu können
In den ersten Jahren nach Inkrafttreten des DPR 574/88 kam es vor, dass der Angeklagte die italienische Sprache wählte, nur um seinen Verteidiger, welcher nicht aufgrund seiner Sprachkenntnisse sondern aufgrund des Vertrauens in seine beruflichen Fähigkeiten ernannt worden war, zu begünstigen, und obgleich dem Angeklagten dann die erforderlichen sprachlichen Fertigkeiten fehlten, um in der Prozesssprache einvernommen zu werden.
Nach einer strengen Auslegung, welche auch von Personen vertreten wurde, die an der Ausarbeitung der Normen mitgearbeitet hatten, vertreten wurde, hätte der Angeklagte sich entscheiden müssen, entweder bei der Einvernahme seine eigene Muttersprache gebrauchen zu können, oder hingegen die Sprache seines Vertrauensanwaltes, der jedoch nicht die Fähigkeit besitzt, ihn in seiner Muttersprache zu vertreten, zu wählen.
Dieses Problem wurde vor dem Verfassungsgerichtshof vorgebracht, welcher entschied, dass die Rechte gemäß DPR 574/88 nicht die Rechte, laut Strafprozessordnung ersetzen, sondern dieselben ergänzen, da sie eine Erweiterung dieser Rechte darstellen.
In der Folge kann das Recht gemäß Art. 109 der Strafprozessordnung, wonach Zugehörige zu einer sprachlichen Minderheit in deren Muttersprache einvernommen werden können, auch in Südtirol, wo spezielle Bestimmungen gelten, nicht verwehrt werden (bekanntlich gibt es in Italien auch andere sprachliche Minderheiten, u.a. eine slowenische im Friaul).
Mit den Änderungen, welche 2005 eingeführt wurden, hat der Gesetzgeber vorgenanntes Urteil berücksichtigt, indem nunmehr bestimmt wurde, dass der Angeklagte in seiner Muttersprache vernommen werden kann, auch wenn diese nicht mit der Verfahrenssprache übereinstimmt; die Vernehmung wird unmittelbar übersetzt und es wird in der Verfahrenssprache protokolliert (außer bei ausdrücklichem Verzicht durch die Parteien).
Sanktionen
Wie bereits erwähnt, führt die fälschliche Feststellung der mutmaßlichen Muttersprache keinerlei Nichtigkeit mit sich. Andere Verletzungen werden je nach Schwerwiegigkeit in absolute und relative Nichtigkeiten unterteilt. Auf jeden Fall ist die Nichtigkeit wegen unterlassener Übersetzung der Akte relativ (muss also innerhalb einer bestimmten Frist eingewendet werden) und führt lediglich zur Übersetzungspflicht, ohne Rückkehr des Verfahrens zu jenem Punkt, an dem die nichtige Verfahrenshandlung vorgenommen worden war. Für eine genaue Angabe der Nichtigkeiten wird auf den Art. 18 bis des DPR 574/88 verwiesen.
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Gebrauch der deutschen Sprache außerhalb der Region
Wie bereits eingangs erwähnt, finden die Bestimmungen bezüglich des Sprachgebrauchs nicht nur in der Provinz Bozen Anwendung, sondern auch in Trient und zwar für jene Gerichtsämter, welche für Bozen Zuständigkeit besitzen. Der Gesetzgeber hat - vielleicht auch aus Vergesslichkeit - nicht berücksichtigt, dass sich das nächst gelegene Militärgericht in Verona befindet. Als noch die Wehrpflicht galt, musste sich dieses Gericht mit einer beträchtlichen Anzahl von Verfahren, aus der Provinz Bozen befassen.
Wiederum war das Einschreiten des Verfassungsgerichtshofes erforderlich, welcher die Verfassungsmäßigkeit jener Bestimmung, die den Gebrauch der deutschen Sprache vor dem Militärgericht ausschloss, überprüfen musste. Der Gerichtshof klärte, dass die Bestimmungen bezüglich des Sprachgebrauchs, obgleich es sich hierbei um subjektive Rechte handle, nicht in direktem Zusammenhang mit dem Recht auf Verteidigung stehen, denn andernfalls müssten sie auf dem gesamten Staatsgebiet und auf alle sprachlichen Minderheiten Anwendung finden. Diese Bestimmungen würden besondere Begünstigungen vorsehen, welche aber nicht für jedes Verfahren unabdingbar seien und folglich könnten sie nicht außerhalb der vorgesehenen Fälle Anwendung finden.
Weitere Rechte für jene, die nicht die italienische Sprache beherrschen
Als sich der Verfassungsgerichtshof mit der im vorhergehenden Absatz angeführten Rechtsfrage befasse, hat er geklärt, dass die speziellen Bestimmungen, welche für Südtirol vorgesehen sind, auch für jene Personen Anwendung finden, die perfekt Italienisch sprechen. Ungeachtet dessen finden bei belegter Nichtkenntnis der italienischen Sprache die Bestimmungen der Strafprozessordnung Anwendung, besonders der Art. 143, wonach jene, die die italienische Sprache nicht beherrschen, Anrecht auf einen Dolmetscher, sowie auf Übersetzung der wichtigsten Akten haben.
Dieser Artikel ist mit G.v.D. 32/2014 abgeändert worden, welches in Durchführung der EU Richtlinie 2010/64/EU über die Interpretation und Übersetzung bei Strafverfahren erlassen wurde.
Weitere Rechte für deutschsprachige EU-Bürger
Wegweisend war der Fall eines österreichischen Staatsbürgers, der wegen unberechtigten Waffenbesitzes verhaftet worden war und an den sich sowohl das Gericht als auch die Staatsanwaltschaft in einwandfreiem Deutsch gewandt hatten, bis sich herausstellte, dass er aus Österreich und nicht "Bürger der Provinz Bozen" war: Der Ausdruck dieses Unglückseligen als ihm mitgeteilt wurde, dass aufgrund seiner österreichischen Staatsbürgerschaft das Verfahren in italienischer Sprache abgehalten werden müsse, bleibt unvergesslich.
Jahre später wurde diese Problematik von Richter Frötscher vor den europäischen Gerichtshof gebracht und dieser bestimmte, dass es in Südtirol gleichwertig sei, ob ein Verfahren in italienischer oder deutscher Sprache geführt werde und folglich jeder deutschsprachige EU-Bürger das Recht habe, die Anwendung der Bestimmungen bezüglich des Sprachgebrauchs zu seinen Gunsten zu fordern (Verfahren C-274/96).
Auszug aus dem Strafregister
Die Strafregisterauszüge können sowohl in italienischer als auch deutscher Sprache beantragt werden. Im übrigen Staatsgebiet müssen die Auszüge bei der Staatsanwaltschaft des Geburtsortes beantragt werden (für Ausländer in Rom). Wer jedoch in der Provinz Bozen ansässig ist, kann den Auszug auch bei der Staatsanwaltschaft von Bozen beantragen.
Rechte der ladinischen Sprachminderheit
In Südtirol gibt es auch eine ladinische Sprachminderheit, welche allerdings weniger bekannt ist. Die Rechte, die ihr vom DPR 574/88 zuerkannt werden, sind sehr begrenzt, teilweise sogar geringer als jene, die durch nationale Gesetzesbestimmungen gewährleistet werden. Der ladinische Bürger hat das Recht auf eine ladinische Prozesssprache in den Verfahren vor den Friedensgerichten, welche für die ladinischen Ortschaften in der Provinz Bozen zuständig sind (Bruneck und Klausen). In anderen Verfahren hingegen hat er nur das Recht, in seiner Muttersprache verhört oder vernommen zu werden, wobei in der Prozesssprache protokolliert wird. Dies obgleich der Art. 109 StPO nicht nur die Protokollierung in der Sprache der Minderheit, sondern auch die Übersetzung jener Akte, die an die betroffene Person gerichtet sind, vorsieht.
Vertiefungen
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